Abschluss des 50-jährigen Jubiläums von Aspen Deutschland mit der beeindruckenden Rede von Joachim Gauck
Auszüge aus der Rede von Bundespräsident a.D. Joachim Gauck Anlässlich der Verleihung des Shepard Stone Awards auf der Aspen Gala 2024
Herzlichen Glückwunsch zum 50. Jubiläum von Aspen Institute Deutschland in Berlin. Ich danke Ihnen von Herzen für diese Auszeichnung mit dem Shepard Stone Award.
Während die Musik spielte, da hatte ich einen irdischen Traum, denn ich sah Shepard Stone in mehrfacher Hinsicht. Ich sah ihn als jungen Mann, der in Deutschland vor 1933, einem Land der Wissenschaft, studierte, der hier heiratete, der sich wahrscheinlich wunderbar darauf vorbereitet hatte, amerikanisches Lebensgefühl und Denken mit europäischem hier in Deutschland zu verbinden. Dann dachte ich an den Mann, der mit der U.S. Army im Krieg in Europa landet, nicht wissend, ob er überleben wird. Aber hier muss er her. Hier kennt er sich aus, hier hat er noch etwas zu tun. Und dann sehe ich ihn wieder: hinter ihm ein roter Wartburg und neben ihm Soldaten von den Grenztruppen der DDR. Und es gibt Anlass zu lachen, weil wir das Jahr 1990 schreiben. Ja, so ging mir das bei der Musik.
Für die Menschen im Osten Deutschlands waren es die westlichen Wege, Demokratie zu gestalten und nicht die Lebensformen, in die man uns gedrängt hatte. Wir feierten zwar jedes Jahr einen Tag der Befreiung, aber mit Uwe Johnson könnten wir sagen, Befreier wären sie gewesen, wenn sie gegangen wären oder wenn sie uns wenigstens hätten machen lassen.
Unsere Landsleute im Westen hatten alliierte Sieger, die Ihnen dabei halfen, aus dem schwierigen Erbe herauszufinden. Noch in den 50er Jahren war Befragungen des Allensbach Instituts zufolge eine Mehrheit der Westdeutschen davon überzeugt, dass der Nationalsozialismus eine gute Sache gewesen sei, die nur schlecht gemacht worden ist. So viel zu den Erinnerungspotenzialen der Menschen. Umso wichtiger war es damals zu erfahren, dass es Politiker und Denker gab, die einen anderen Weg für die gefallene Nation im Sinn hatten. Es gilt diejenigen zu rühmen, die als Politiker wichtige Entscheidungen auch im ökonomischen Sektor getroffen haben. So kommen mit dem Marshallplan und mit der Orientierung auf eine liberale Demokratie die Gedanken von Karl Popper und da es den Menschen besser geht, funktioniert das mit der Gewöhnung an Freiheit auch in einer Nation, die eigentlich noch autoritär ausgerichtet ist. Ab den 70er Jahren gründen die Menschen Thinktanks, die Politik des Wandels durch Annäherung folgt. In der Anfangszeit ist diese Politik auch sehr erfolgreich, später wird sie in Wunschdenken erstarren – sie hat keinen Partner mehr gegenüber, doch das merkt sie nicht und sie verliert dann ihre Innovationskraft. Später ist sie leider mehr Appeasement als Entspannung.
Meine Damen und Herren, als ich ein Student war, war West-Berlin noch offen und Ihr Institut war noch nicht gegründet. Aber für uns im Osten war Berlin, auch gerade für die Studenten, immer eine Möglichkeit aufzutanken. Hier ging man ins Kino oder man besorgte sich Bücher. Als ich später nach dem Mauerbau diese Möglichkeiten nicht mehr hatte, wollte ich mich nicht mit den Angeboten der ostdeutschen Medien befüllen, sondern, wir die Oppositionellen, suchten nach geistiger Nahrung. So sind wir dann auf diejenigen Politikwissenschaftler, Lehrer, Philosophen und auch politischen Praktiker gekommen, die den Glauben an etwas anderes in uns wachgehalten haben. 1953 haben die Deutschen im Osten versucht, Freiheit und Einheit zu erlangen. Die bittere Niederlage, mit Toten und vielen Verhafteten, hat dazu geführt, dass wir lernten, Ohnmacht für normal zu halten und lange sehr deutsch, sehr still und gehorsam waren. Auch als 1968 der Prager Frühling niedergeschlagen wurde und Ungarn aufstand, spürten wir, wir können wenig machen. In solchen Zeiten der Ohnmacht wenigstens noch Hoffnungspotenziale wachzuhalten, lässt den Gedanken an die eigene Freiheit nicht sterben, sondern er bleibt erhalten. Und bei der erstbesten Gelegenheit wacht dieser Gedanke wieder auf und sucht sich durch politische Aktionen zu verwirklichen.
Ich bin Ihnen dankbar, Frau Bundestagspräsidentin Bas, dass Sie das Jahr 1989 erwähnt haben, die schönste Zeit meines Lebens. Freiheit, meine Damen und Herren, wenn sie jung ist, heißt Befreiung. Befreiung ist kein Dauerzustand, sondern das erlebt man intensiv. Die zweite Form der Freiheit, zu etwas und für etwas, führt zu einem besonderen Status der inneren Ermächtigung, des Empowerment für das, was ich ändern kann, oder was vor mir als Aufgabe liegt.
Dieses Gefühl, nicht nur für mich selbst, sondern für mein Gemeinwesen verantwortlich zu sein, das ist das, was liberale Geister im philosophischen Raum und in der demokratischen Praxis immer wieder lehren und lernen. Im Grunde geht es darum, sich zu bewähren, Freiheit in dieser Form als Verantwortung zu leben. Deshalb sind diejenigen, die mit freiheitlichem Denken, mit dem Ansatz von Dialog und Offenheit und vor allen Dingen mit dem Respekt vor der Herrschaft des Rechtes, so wichtige Akteure. Bevor die Politik gemacht wird, müssen Menschen zum politischen Denken befähigt werden, müssen sie Ideen aufnehmen können, müssen sie Risiken bewerten lernen, müssen sie Mut gewinnen. Denn ohne Mut ist unsere ganze Freiheitssehnsucht politisch schwach.
Ich will nochmal zurückkehren zu Shepard Stone, der eine Uniform anzog, obwohl er lieber denken und debattieren wollte und an die Zeit erinnern, in der wir gerade leben. Ich habe eben von einer Verantwortung gesprochen, die erwachsen ist aus einer Sehnsucht nach Freiheit, aus einer Sehnsucht nach geistiger Geborgenheit. Und dazu gehört das „Ja“ zur Herrschaft des Rechtes. Immer dann, wenn diese ganz grundlegenden Elemente angegriffen werden, sei es von Verwirrten im Inneren des Landes oder von Verwirrten und Bösartigen im Äußeren, hat eine neue Form von Verantwortungsbereitschaft einzusetzen, die den Modus der Verteidigung wählt. Gerade auf diesem Gebiet hat eine einst übermütige Nation etwas zu lernen. Es gab eine Zeit nach dem Krieg, als es wichtig war, dass wir pazifistisch wurden. Diese Zeit ist vorbei und dieses Land ist geheilt, auch durch die Anerkennung von Schuld und die Übernahme von Verantwortung. Dieses Deutschland ist vertrauenswürdig. Aus diesem Grund haben wir die Verpflichtung, das, was uns gelungen ist, an Wiederherstellung des Rechtes, an den Werten, die wir mit den Vereinten Nationen, mit unseren amerikanischen Freunden, hier zur Politik gemacht haben, mit Menschen- und Bürgerrechten, zu verteidigen. Dazu gehört zu erkennen, wie die Gegnerschaft ist. Dazu gehört, nicht aus Gutwilligkeit heraus so zu tun, als gäbe es reale Feindschaft nicht, sondern nur Feindbilder. Wir stehen aber vor einer realen Feindschaft. Unser Bundespräsident hat Putins Krieg das Böse genannt. Wir brauchen die, von unseren amerikanischen Freunden gestützte, unbedingte Bereitschaft, nicht preiszugeben, was wir unter Schmerzen aufgebaut haben. Niemals hätte Willy Brandt, der Friedenskanzler, der Liebhaber der Freiheit und der Demokratie geduldet, dass unsere Bundeswehr so geschwächt ist, wie sie heute ist. Er hat gewusst, dass sich nicht aus einer Position der Schwäche heraus verhandeln lässt. Deshalb haben wir neu zu lernen, dass eine Entschlossenheit, die einst angezeigt war, angesichts des kommunistischen Herrschaftssystems und seiner aggressiven Vorhaben, dass wir diese Haltung neu verinnerlichen müssen. Dass wir bereit sind, zu einer überaus entschlossenen Unterstützung derer, die als überfallenes, unschuldiges Opfer zu gelten haben. Darum möchte ich hier in aller Deutlichkeit bei dieser Preisverleihung bitten.
Meine Damen und Herren, es gehört sich, einem überfallenen Opfer, der Ukraine, zu helfen. Der Kern der Aggressivität von Putin, besteht in dieser grundsätzlichen Haltung, das, was insbesondere nach dem Krieg als wertebasierte Nachtkriegsordnung etabliert ist, durch ein viel älteres Prinzip zu ersetzen – durch den imperialen Gestus: „ich kann es, weil ich es kann, und ich werde es tun, weil ich es kann“. Wenn dieses Denken auftaucht, endet nicht unsere Diplomatie, aber es muss eine Bereitschaft zur Wahrnehmung der wirklichen Bedrohung existieren. Wir sind auch bedroht im Inneren, und wenn ich an den amerikanischen Politologen Adam Przeworski denke, dann zählt er uns auf, wie schon in einer funktionierenden Demokratie mit kleinen Stellschrauben, etwa: wie verändern wir den Wahlkreis oder welche Leute bringen wir in die obersten Gerichte, wie wir so die Demokratie gefährden können. Wir sehen es in den USA, wir sehen es in Europa. Und deshalb, meine Damen und Herren, bedanke ich mich heute, dass Sie gemerkt haben, dass mein Denken und mein politisches Tun mit dem, was Shepard Stone wollte, zusammenpassen.
Liebe Frau Präsidentin des Deutschen Bundestages, da war noch ein Wort, das ich immer gerne höre. Das Wort heißt Zuversicht. Ich habe mich nun mal entschlossen, nicht nur seit ich Bundespräsident bin, sondern schon davor, in Deutschland zuständig zu sein, für Zuversicht. Das ist ganz einfach, man kann nämlich eine Form des Denkens wählen, die heißt “Vergleichen”. Und wenn man die eigenen Lebensverhältnisse, die Gesellschaft, den Staat vergleicht mit Zuständen in anderen Teilen dieser Welt und in anderen Zeiten des Lebens, dann bekommt man einen anderen inneren Zugang zu der Gegenwart. Ich möchte, dass wir aus Gründen nicht der Sehnsucht oder einer Erwartung, dass sich alles glücklich wenden möge, sondern, dass wir aus anderen Gründen zuversichtlich sind. Ich persönlich kenne keine menschliche Gesellschaft, die kollektiv so tief gefallen ist wie das Deutsche Reich. Ich hätte niemals, als junger Mensch, irgendeinen Stolz empfunden.
Wenn ich aber heute als alter Mann dieses Land anschaue und sehe, was darin gewachsen ist, wie kann ich dann anders sein als verwundert und dankbar und glücklich, dass so etwas möglich ist? Wenn ich also von der Fähigkeit der Menschen spreche, die Gesellschaft zu gestalten und die Zukunft zu bestimmen, spreche ich nicht von Traumgebilden. Ich spreche davon, was wir gekonnt haben. Und ich spreche davon, dass wir Freunde gefunden haben, die uns dabei geholfen haben. Dieses Bündnis derer, die etwas konnten, kann sich auf Erfolge zu berufen, die tatsächlich existieren und nicht nur in unseren Träumen.