Nicht erst seit dem Ausbruch von COVID-19 schießt die Zahl an Verschwörungsmythen und „Fake News“ in einer unglaublichen Geschwindigkeit in die Höhe. Die weltweite Pandemie hat diesen Trend noch einmal um ein Vielfaches beschleunigt. Vor allem Social-Media-Plattformen bieten einen hervorragenden Nährboden für deren Verbreitung. Diese Entwicklungen haben mittlerweile das Potenzial, die Demokratie in ihren Grundfesten zu beschädigen, und großangelegte digitale Desinformationskampagnen können vor allem im Hinblick auf nationale und internationale Wahlen einen großen Gefahrenherd für die jeweiligen demokratischen Prozesse darstellen.
Informationsökosysteme sind lebende Organismen, die sowohl von gesellschaftlichen als auch technologischen Entwicklungen beeinflusst werden. In der vergangenen Dekade sind Social-Media-Plattformen mit ihren Influencer*innen kontinuierlich in die Domäne der klassischen Gatekeeper-Medien eingedrungen. Dabei ist erkennbar, dass sich Influencer*innen in einem stetigen Politisierungsprozess befinden, mit einer dadurch wachsenden Verantwortung, der weit über die eigene Gemeinschaft hinausreicht. Auch andere relevante Stakeholder des digitalen Informationsökosystems aus Politik, den klassischen Medien und der Zivilgesellschaft tragen in der Auseinandersetzung mit und der Eindämmung von Fake News, Verschwörungsmythen und gezielten Desinformationen eine große Verantwortung. Während diese verschiedenen Gruppen eigentlich gut vernetzt sein und sich gemeinsam im Kampf gegen bewusste Falschinformationen und Manipulationen engagieren sollten, herrschen vor allem zwischen Social-Media-Influencer*innen und den „klassischen“ Stakeholdern oftmals Berührungsängste und eine damit einhergehende gegenseitige Skepsis. Diese Lücke sollte im Rahmen der Workshopreihe geschlossen und ein transparentes, lebhaftes und faktenbasiertes Informationsökosystem geschaffen werden. Der gegenseitige Austausch, verbunden mit einem konstruktiven Dialog aller relevanten Stakeholder aus diesem Bereich, war vor allem im Hinblick auf die Ende September 2021 erfolgte Bundestagswahl wichtiger denn je.
Ziel des Dialogprozesses war es, eine gemeinsame und sich gegenseitig befruchtenden Allianz gegen digitale Desinformationskampagnen im Hinblick auf die deutschen Bundestagswahlen und auch darüber hinaus zu schaffen.
Action Report
Basierend auf den Ergebnissen von vier Workshops und einer öffentlichen Diskussion zwischen deutschen Influencer*innen, Expert*innen, Vertreter*innen traditioneller und moderner Medien und Wissenschaftler*innen hat Aspen Deutschland Empfehlungen für politische Entscheidungsträger*innen, Social-Media-Plattformen und Influencer*innen veröffentlicht, wie das Problem der Desinformation im Internet belämpft werden kann.
Stormy-Annika Mildner, Daniel Kirchhof, Eva Mattes, Linda Jäck und Moritz Ludwig: Engaging German Influencers – Call for Action; Action Report, März 2022
Influencer*innen auf Social Media sind nicht mehr nur in der Kommunikations- und Marketingstrategie von Unternehmen relevant, sondern gewinnen auch im politischen Informationsökosystem an Bedeutung. So teilen oder posten Influencer*innen politische Inhalte, geben Wahlempfehlungen oder treten sogar im Namen politischer Parteien auf. Um sich ihrer ethischen und politischen Verantwortung und ihres Einflusses bewusst zu sein und ihre Reichweite zu nutzen, um gegen Hassreden und Desinformation vorzugehen, sollten Influencer*innen
1) Verantwortung übernehmen und einen ethischen Kodex entwickeln
2) den rechtlichen Rahmen einhalten
3) die Verbreitung von Desinformation verhindern
Politische Entscheidungsträger*innen Im Prinzip gelten für Plattformen bereits spezifische Gesetze und Initiativen zur Bekämpfung und Eindämmung von Desinformation, einschließlich des geplanten European Digital Services Act. Es besteht jedoch ein politischer Konsens darüber, dass zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Desinformation erforderlich sind. Angesichts der zunehmenden Bedrohung durch Desinformation sollten die politischen Entscheidungsträger:
1) den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung zum Thema Desinformation und Hassrede wirksam umsetzen
2) das Bewusstsein von Politiker*innen und politischen Entscheidungsträger*innen für ihre eigene Rolle und Multiplikatorwirkung im Internet schärfen
3) die digitale Kommunikationsstrategie der Bundesregierung modernisieren
Social-Media-Plattformen haben eigene Anstrengungen unternommen, um Desinformation innerhalb ihrer Netzwerke zu verhindern. Zu den Maßnahmen gehören die Zusammenarbeit mit Influencer*innen, Faktenchecker*innen, zivilgesellschaftliche Kampagnen, die Verwendung von Klarnamen oder auch die Sperrung oder Löschung von Accounts. Dennoch sind Desinformationen nach wie vor ein großes Problem im digitalen Raum. Daher sollten Social-Media-Plattformen:
1) Richtlinien formulieren und Schulungen für Influencer*innen anbieten
2) konsequent handeln und Verstöße gegen die Regeln für Desinformation und Hassrede bestrafen
3) Algorithmen überarbeiten – Voreingenommenheit bekämpfen
Unsere vollständigen Empfehlungen und Hintergründe zur Bedeutung von Influencer*innen und anderen Akteurer*innen im Kampf gegen Desinformation finden Sie in unserer Veröffentlichung.
Workshop I (25.03.2021)
Im Rahmen des ersten Workshops wurden grundlegende Fragen zu Selbstwahrnehmung, dem Verständnis der eigenen und der Rolle der anderen Akteure im Informationsökosystem, der Verantwortung gegenüber Wähler*innen/Follower*innen und Leser*innen diskutiert. Zudem wurden Erfahrungen mit „Fake News“ und Desinformation im Berufsalltag ausgetauscht. Neben einer Rollenbestimmung lag der Fokus auf dem gegenseitigen Kennenlernen und dem Abbau von Berührungsängsten.
Drei Aspekte stachen am Ende des ersten Workshops heraus:
1) Die weitergehende Auseinandersetzung mit Fragen zu (gesellschaftlicher) „Verantwortung“;
2) Akteursübergreifende Möglichkeiten der Zusammenarbeit, insbesondere – aber nicht ausschließlich – mit Blick auf den Austausch zwischen JournalistInnen und InfluencerInnen;
3) Die kritische Auseinandersetzung mit den Algorithmen der Social-Media-Plattformen und den daraus entstehenden Effekten (u.a. Bildung von Bubbles, Präferenzdynamiken versus Diskursivität).
Workshop II (16.06.2021)
Der zweite Workshop widmete sich in moderierten Kleingruppen verstärkt den sich im ersten Workshop aufgeworfenen drei Kernthemen.
Die Kleingruppe zur Plattformregulierung beschäftigten sich mit den Grauzonen von Desinformation und dort vor allem mit der Frage, wer für diese die Verantwortung trägt: Plattformen, Gesetzgeber, Plattformräte oder das einzelne Individuum?
Die zweite Kleingruppe befasste sich mit den Möglichkeiten und Potentialen einer akteursübergreifenden Zusammenarbeit im Kampf gegen Desinformation.
Aufgrund der alltäglichen Erfahrungen der Teilnehmenden wurden kreative Lösungen für solche Kooperationen aufgeworfen und diskutiert. Die dritte Kleingruppe befasste sich mit Fragen der individuellen und kollektiven Verantwortung: Wer ist für Des- und Fehlinformationen auf Social-Media-Plattformen verantwortlich? Wo beeinflussen die Entscheidungen anderer Akteure die eigenen Entscheidungen? Braucht es einen Verhaltenskodex für die Akteurinnen im digitalen Raum, der von ebendiesen entwickelt werden sollte?
Workshop III (07.10.2021)
Der dritte Workshop wurde durch zwei Kurzvorträge thematisch eröffnet.
Semjon Rens, Public Policy Director, Regulatory and Economic Policy für die D-A-CH-Staaten Facebook, schilderte die Sicht auf die zurückliegende Bundestagswahl aus der Perspektive eines sozialen Netzwerkes und thematisierte den Einfluss dieser auf den Wahlkampf. Lena-Maria Böswald, Programme Associate bei Demoracy Reporting International, stellte die Ergebnisse ihres Projekts “Social Media Dashboard” in Kooperation mit dem Tagesspiegel vor.
Die moderierten Kleingruppen widmeten sich drei zentralen Aspekten:
1) Mysogynie – Frauenhass im Netz, moderiert von Christina Dinar, Junior Researcher Plattform Governance am Leibniz-Institut für Medienforschung, Hans-Bredow-Institut, Hamburg.
2) Die Verantwortung sozialer Medien am Beispiel von TikTok, moderiert von Fabian Walter, Steuerexperte und Content Creator auf dem TikTok-Kanal @steuerfabi.
3) Der Umgang mit Verschwörungstheorien, moderiert durch Mathieu Coquelin, Leiter der Fachstelle Extremismusdistanzierung (FEX) im Demokratiezentrum Baden-Württemberg und Sarah Heinisch, Referentin beim Landesmedienzentrum Baden-Württemberg (LMZ).
In der abschließenden Ergebnisdiskussion kristallisierten sich drei zentrale Punkte heraus:
1. Es muss noch stärker für die genannten Themen sensibilisiert werden.
2. Die Verantwortung liegt sowohl bei den Plattformen selbst als auch bei den Influencer*innen, Content Creators und User*innen.
3. Strukturelle Probleme müssen strukturell gelöst werden. Dies geht nur im Zusammenspiel von Regierungen, Social-Media-Plattformen, Conten Creators und User*innen.
4. Es muss mehr in die Vermittlung von Medienkompetenz investiert werden.
Workshop IV (15.12.2021)
Im vierten Workshop lag der Fokus auf den vier zentralen Themen, die in den vorangegangenen Workshops besonders herausstachen: Falschinformationen, „Hate Speech“ im Internet, Formen von Diskriminierung und Verschwörungstheorien, beziehungsweise der jeweilige Umgang damit. Ziel des Workshops war es, Handreichung für Politik-, Medien- und Tech-Akteur*innen zu entwickeln.
Vor dem Hintergrund der neugebildeten Bundesregierung stand im internen Teil des Workshops die Erarbeitung von Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung, die großen Gatekeeper- und Technikplattformen sowie an die Influencer und Content Creators im Mittelpunkt. Im zweiten Schritt diskutierten die Workshopteilnehmer*innen mit zwei politischen Entscheidungsträger*innen über die zukünftige Digitalpolitik der neuen Bundesregierung: Mario Brandenburg, Sprecher für Forschung, Technologie und Innovation der Fraktion der Freien Demokraten, und Nadine Schön,stellvertretende Fraktionsvorsitzende für Digitales, Bildung und Forschung der CDU/CSU-Fraktion.
Sprecher*innen und Moderator*innen unserer vier Workshops
- Böswald, Lena-Maria, Programme Associate bei Demoracy Reporting International;
- Mario Brandenburg, Sprecher für Forschung, Technologie und Innovation der Freien Demokraten, Mitglied des Deutschen Bundestages;
- Mathieu Coquelin, Leitung, Fachstelle Extremismusdistanzierung im Demokratiezentrum Baden-Württemberg;
- Christina Dinar, Junior Researcher Plattform Governance am Leibniz-Institut für Medienforschung, Hans-Bredow-Institut, Hamburg;
- Sarah Heinisch, Referentenbetreuung/pädagogischer Jugendschutz, Referat Medienpädagogische Unterstützungssysteme, Landesmedienzentrum Baden-Württemberg (LMZ);
- Felix Kartte, Senior Advisor, Reset;
- Semjon Rens, Public Policy Director, Regulatory and Economic Policy für die D-A-CH-Staaten Facebook;
- Derya Şahan, Referentin, Fachstelle Extremismusdistanzierung im Demokratiezentrum Baden-Württemberg;
- Nadine Schön, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende für Digitales, Bildung und Forschung, CDU/CSU-Fraktion, Mitglied des Deutschen Bundestages;
- Fabian Walter, Geschäftsführer der Steuerversum GmbH, Content Creator auf dem TikTok-Kanal @steuerfabi.
„Engaging German Influencers“: Gemeinsame Strategien zur Bekämpfung von Fake News und Verschwörungsideologien – Ein öffentlicher Erfahrungsaustausch (03.02.2022)
Das Aspen Institute Germany veranstaltete am 03. Februar 2022 von 14:00 Uhr bis 15:00 Uhr (MEZ) eine Panel-Diskussion mit:
- Marie Richter, Managing Editor Germany, NewsGuard Technologies,
- Tabea Rößner, Vorsitzende des Digitalausschusses, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied des Deutschen Bundestages,
- Johannes Baldauf Public Policy Manager, Facebook Germany/Meta, und
- Fabian Walter, Geschäftsführer der Steuerversum GmbH und Content Creator auf dem TikTok-Kanal @steuerfabi.
Die Diskussion wurde moderiert von Dr. Stormy-Annika Mildner, Executive Director, Aspen Institute Germany. Das Projekt wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung der Open Society Intiatives for Europe (OSIFE).
Hintergrund: Immer mehr Menschen konsumieren Informationen und Nachrichten (fast) ausschließlich über Social-Media-Plattformen. Influencer*innen und Content Creators gewinnen damit als Meinungsmacher*innen und Agenda-Setter*innen zunehmend an Bedeutung. Aufgrund einer hohen Anzahl von Follower*innen, Likes, Shares, Abonnements und Downloads wird diesen oft ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit zugeschrieben. Angesichts von Fake News und des Auskommens von Verschwörungsideologien ist es umso wichtiger, die Rolle sozialer Medien und von Influencer*innen bei der politischen Meinungs- und Willensbildung genauer in den Blick zu nehmen.
Partner und Unterstützer
Das Aspen Institute Deutschland bedankt sich bei den Open Society Foundations – dem Premium-Partner dieser Workshopreihe – herzlich für die Zusammenarbeit:
Das Aspen Institute Deutschland bedankt sich sehr herzlich bei der Heinrich Böll Stiftung, dem intellektuellen Partner dieser Reihe:
Wir bedanken uns außerdem bei unserem Kooperationspartner Reachbird für die wertvolle Unterstüzung: